|
Wie einfältig und kanaanäisch dürfen Praise-Songs sein?
Ein Artikel von Albert Frey
Hinter dieser flapsigen Frage stecken einige wesentlich ernsthaftere Fragen:
Was soll Musik und Kunst im Zusammenhang mit Gott und Gottesdienst sein -
reine Zweckmusik, oder soll sie das Wesen Gottes widerspiegeln. Oder
vielmehr die (wesentlich weniger herrliche) Wirklichkeit der Menschen?
Dann: muss gebetsbegleitende Musik anders sein, als sonstige Musik in
unserem
Leben (wenn diese überhaupt wünschenswert ist)?
Und schließlich: was ist guter Geschmack? Des Volkes Stimme, oder muss
selbiges vielmehr zu einem solchen guten Geschack erzogen und notfalls
gezwungen werden?
Ich fürchte, keine dieser Fragen lässt sich mit "entweder-oder" beantworten.
Aber erstmal muss festgestellt werden: wir leiden unter so manchem neuen
Praise-Song. Was vor ein paar Jahren noch alles willkommen war,
hauptsächlich, weil es neu und anders klang, wird nun kritisch unter die
Lupe
genommen:
Die Sprache nicht nur von übersetzten Songs ist bisweilen banal,
klischeehaft, wenig originell und oft genug schlicht falsch. Manche Melodien
sind ebenso naiv, andere konstruiert oder trotz ihrer Kürze schwer
nachvollziehbar. Nicht jedem, der dies bemängelt, mangelt es an Heiligem
Geist oder an einem Herz für Anbetung.
Aber wir müssen genauer nachspüren,
was uns da zwickt:
Provozieren uns durchaus biblische Glaubensaussagen und Gebete, weil wir sie
nicht ehrlich nachvollziehen können? Entlarven die simplen Anbetungstexte,
dass uns Jesus nicht so viel bedeutet, wie z. B. dem, der diesen Text
verfasst hat (vorrausgesetzt, er war ehrlich)?
Es könnte auch sein, dass wir elitären Dünkel in uns entdecken: Wir wollen
nicht mit gewöhlichen Menschen im Festzelt sitzten, einen gebrauchten Golf
fahren oder bei C&A einkaufen - und nicht diese Lieder singen.
Vielleicht haben wir auch Angst vor Gefühlen. Oder vielmehr vor der
peinlichen Situation, dass alle anderen emotinal mitgerissen werden und ich
unbewegt wie der Fels in der Brandung stehe, in Wirklichkeit aber das Loch
suche, in dem ich gerne verschwinden würde.
Mag sein. Aber das alles ist noch kein Freibrief für die Auswahl schlechter
Lieder. Dass jemand ein Lied geschrieben hat, kann man niemandem vorwerfen,
so
schlecht es auch sein mag. Wenn aber er oder ein anderer es veröffentlicht,
verbreitet und uns mithilfe unseres christlichen Anstands nötigt, es ihn
nicht allein singen zu lassen - dann hat das mit Verantwortung zu tun.
Was ist nun ein gutes Lied, und wer soll das bestimmen? Letzteres beantworte
ich mit einem herzlichen "sowohl als auch": Jemand muss Verantwortung für
die
Liedauswahl übernehmen und zugleich auf des Volkes Stimme hören. Jemand muss
verhindern, dass wir in einem endlosen Wunschkonzert immer wieder die alten
Schlager singen, jemand muss uns auch mal etwas Neues, Kantiges zumuten, das
wir vielleicht erst auf den zweiten Blick oder besser Ton liebgewinnen.
Aber:
Wenn ein Kunstexperte nach seinen persönlichen Kriterien auswählt (und tun
das nicht viele Kirchenmusiker?), haben wir eine Kulturveranstaltung statt
einem Gottesdienst. Und das gilt ebenso für den Musikfreak, der die Gemeinde
weniger zu Gott als zu seinem "Sound" bekehren will.
Ein gutes Lied ist auch mitnichten ein kompliziertes. Ja, gerade die
(heilige) Einfalt wird als genial empfunden. Aber der Grad zwischen "einfach
und genial" und "einfach und banal" ist schmal. Die Zeit wird es zuletzt
entscheiden, aber es wäre hilfreich, wenn wir ein Gespür entwickelten, wie
sie sich denn entscheiden wird, damit wir uns und unseren Gemeinden eine
Menge Ausschuss an Liedmaterial sparen.
Um eine Frage von oben aufzugreifen: Was soll denn die Musik leisten? Sie
soll Zwecken dienen, aber auch die ganze Schönheit Gottes und die
Vielschichtigkeit menschlichen Erlebens widerspiegeln - aber nicht unbedingt
in einem einzigen Praise-Song. Wichtig ist nur, dass unser Leben eine
Einheit
bleibt, dass wir uns nicht zwischen heilig und menschlich aufspalten lassen,
dass unsere Gottesdienste zu unserem Leben und unser Leben zu unseren
Gottesdiensten in Beziehung steht. Unsere Praise-Songs dürfen uns nicht in
ihrer Abgehobenheit zur gesungenen Lüge verleiten. Aber wenn wir die ganze
Musik unseres Lebens vor Gott betrachten, dann muss nicht mehr das ganze
Gewicht unserer Kulturdebatte auf Praise-Songs liegen. Wenn wir mehr Raum
für
andere, komplexere, vielschichtigere Musik hätten, sowohl im Gottesdienst
als
auch außerhalb - zum Beispiel konzertante, thematische Lieder, Soli,
Instrumentalstücke - dann könnten wir in der Lobpreiszeit entspannt darauf
verzichten, dass unsere intellektuellen Bedürfnisse nebenher befriedigt
werden.
Nicht, dass wir in der Anbetung unseren Kopf ausschalten sollten, aber -
sagen wir es positiv - unser Herz sollten wir "einschalten", aktivieren
lassen. "Man sieht nur mit dem Herzen gut." Vielleicht gilt das besonders im
Lobpreis. Ob ein Lied wirklich gut und hilfreich ist, kann eigentlich nicht
von außen beurteilt werden, sondern muss erfahren, erspürt werden. Was macht
das Lied mit mir? Bewegt es etwas in mir? Wenn wir solche Fragen stellen,
sind wir auch wieder näher am gesunden Volksempfinden, das diese Urteile
ganz
unbewusst und doch treffsicher fällt. Und wir spüren, in welcher Krise die
klassische Krichenmusik steckt, die dem Durchschnittschristen außer einem
heiligen Schauer bei "Großer Gott, wir loben dich" emotional kaum noch etwas
zu bieten hat. Nicht mehr. Ich bin sicher, es war einmal anders. Nicht
zuletzt deshalb haben wir ja die Praise-Songs so begierig aufgesogen wie
trockene Erde einen Regenschauer - wobei wir manches überschwemmt statt
bewässert haben.
Es gibt mitlerweile so viele Praise-Songs, dass man sich getrost die Besten
herausgreifen kann: einfach, aber genial, mitsingbar und doch originell,
sprachlich schön und treffend. Je länger ich in diesem Geschäft bin, desto
mehr denke ich, dass wir uns auf die Schnittmenge all dieser Einkreisungen
konzentrieren sollten. Es gibt keine moralische Verpflichtung, alles, was
die
lieben Geschwister an neuen Liedern rausbringen, wenigstens einmal zu
singen.
Bitte nicht! Auch nicht von Albert Frey! Oft genug war ich auch nicht streng
genug bei der Auswahl meiner eigenen oder fremder Lieder. Was bleibt nach
ein
paar Jahren übrig? Weniger ist mehr!
Jetzt noch ein Wort zur Sprache Kanaans. Es kann nicht darum gehen, alles
auf
Alltagssprachniveau zu bringen. Viele wichtige Worte in der Kommunikation
mit Gott gibt es gar nicht im Alltag. Da ging schon in modernen
Bibelübersetzungen manches verloren. Wir sollten mit den frommen Worten
nicht
die Substanz unseres Glaubens über Bord werfen. Vielmehr können wir uns ein
Beispiel an der neuen deutschen Hip-Hop Szene nehmen, die mit größter
Selbstverständlichkeit "deutsche" Wörter benutzt, die man übersetzt nie in
einem englischen Pop-Song finden würde. Xavier Naidoo landet einen Hit mit
dem Satz "Eure schlecht gebauten Straßen machen es dem Thronwagen schwer".
Dem Thronwagen? Ja, dem Thronwagen - welch ein geiles Wort (man möge die
unangemessene Sprachwahl entschuldigen). Wir können auch nicht darauf
verzichten, von Loben, Preisen und Anbeten zu reden. Das finde ich genauso
peinlich, wie wenn man sagt: "ich denke an dich" statt: "ich bete für dich",
nur damit es nicht zu fromm klingt.
Ein Liedtext ist auch Lyrik, er darf, ja soll es sein. Die deutsche Sprache
bietet uns wunderbare Möglichkeiten für feine Zwischentöne, aber auch böse
Fallen. Die schlechten Übersetzungen aus der Anfangszeit der Praise-Songs
haben uns dieses Gespür für die angemessene Sprachebene zum Teil verdorben.
Was haben wir nicht alles gesungen, waren naiv und "fröhlich im Herrn" und
haben "Majestät" so lange auf der ersten Silbe betont, bis wir glaubten, es
wäre richtig so. Es hilft alle Nostalgie nichts: wir müssen mit unserer
eigenen Lobpreis-Kultur erwachsen werden.
Aber wir müssen sie auch erst einmal erreichen, diese schlichte
Emotionalität, diese Dichtheit der amerikanischen und englischen
Praise-Hits.
Bis dahin werden wir noch viel in den Papierkorb legen müssen.
Ersterscheinung in:
Arbeitshilfe "Maulwurf" 1-2002 "H(e)artbeat"
Albert Frey
|